Bedrohliche Entwicklungen dürfen uns den Blick auf die Emergenz des Neuen nicht verstellen. Damit Unternehmen erfolgreich sind, müssen sie lernfähig sein und in einem selbstorganisierten System wirken.
Situation Plötzlich brechen in Hamburg bürgerkriegsähnliche Zustände aus. Anlässlich der G-20-Konferenz am 7./8. Juli 2017 berichten die Medien über Kampfstrategien der „Aufständischen“ statt über die Themen der Konferenz. Demokratische Wahlen in mehreren Ländern führen zu Ergebnissen, die uns beunruhigen: Brexit, Trump, AfD. Unsere Wirtschaft kann ihr Versprechen, Wohlstand für alle zu schaffen, nicht halten. Sie verschärft Umweltschäden und verbraucht endliche Ressourcen. Der Reichtum sei heute ungerechter verteilt als zur Zeit der Monarchie vor der Französischen Revolution.
Überzeugende Lösungen fehlen „Die unsichtbare Hand“ wird es nicht richten. Wir können nicht einfach so weitermachen. Einer neuen kommunistischen Partei wird es wieder nicht gelingen, Solidarität mit Freiheit zu verbinden. Die Idee der Digitalisierung soll unsere Probleme lösen. Aber wird sie die Werte des europäischen Humanismus erhalten?
Emergenz des Neuen Im Verlauf der Evolution tauchen immer wieder neue Lösungen auf. Durch die Interaktion von System und Umwelt entstehen Innovationen, die vorher nicht vorstellbar waren. Die Griechen kannten nur Pharaonen, Tyrannen und Diktatoren. Aber bei ihnen entstand Demokratie. Privateigentum war in Rom das Privileg der Götter und Cäsaren. Doch sie verfassten das erste Rechtssystem zum Schutz des Privateigentums. Im elften Jahrhundert kamen mehrere Päpste auf die Idee, das Christentum mithilfe der griechischen Philosophie neu zu formulieren. Bis dahin war es eine Sammlung von erbaulichen Geschichten nach der Art von „deutschen Götter- und Heldensagen“. Jetzt wurde es ein geistiges Gebäude von Ideen, logisch aufgebaut und rational argumentierbar. Bis zur Renaissance war die Persönlichkeit eines Menschen durch seine Zugehörigkeit zu einer Familie bestimmt. Deshalb war die Strafe der Verbannung so furchtbar, weil der Verurteilte aus der Familie herausgerissen wurde. Verlust seiner Identität und Zerfall seiner Persönlichkeit waren die Folge.
Jetzt ist wieder Umbruchszeit Heute erleben wir wieder eine Zeit tiefgehender Veränderung. Aus der Interaktion von Nanotechnologie, Biowissenschaften, Digitalisierung und Kognitionsphilosophie beginnt etwas ganz Neues. Aber um zu bewahren, was uns viel bedeutet, muss diese Veränderung eingebettet sein in Werte der modernen Philosophie.
Kritischer Rationalismus Diese Philosophie betont, dass niemand im Besitz der Wahrheit ist und dass wir brauchbare Lösungen nur durch Kommunikation mit anderen finden, allerdings nur, wenn wir kritikfähig bleiben, bescheiden und in kleinen überschaubaren Schritten die Welt verändern.
Existenzialismus Das Wesen des Menschen besteht in seiner Freiheit. Sie muss er sich erhalten und gegen den Ansturm von Regeln, Traditionen und Algorithmen schützen. Diese Freiheit ist aber verbunden mit der Verantwortung des Menschen für sein Handeln. Er allein ist verantwortlich.
Konsensgemeinschaft Sie wird durch einen herrschaftsfreien Diskurs gebildet. Dieser Diskurs muss öffentlich sein, gewaltlos und aufrichtig. Er beachtet bestimmte Regeln: Jeder darf reden, fragen und antworten, seine Aussagen begründen und kritisieren, Gefühle ausdrücken, logisch argumentieren und verstehen wollen, was der andere sagt.
Diese konsensorientierte Lebenswelt wird durch das System bedroht. Dort herrscht das operative Denken, wo die Algorithmen bestimmen. Unsere Aufgabe ist es, die Lebenswelt zu entwickeln.
Soziale Marktwirtschaft In der Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und seinen Kritikern, zwischen Freiheit und Solidarität ist die soziale Verantwortung des Kapitals eine Perspektive. Soziale Marktwirtschaft muss reflektiert werden im Zusammenhang mit der Weltwirtschaft, damit ein kosmopolitisches Verantwortungsbewusstsein entstehen kann.
Eine neue Welt entsteht Auch in unserer Zeit entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, und neue Techniken führen zu neuen Lösungen. Wie immer wieder im Verlauf der Geschichte entsteht aus der Interaktion von Technik, Wissenschaft und Philosophie eine neue Welt, die wir noch nicht kennen. Die Idee einer gelingenden Zukunft kann wieder Form annehmen.
Lernende Unternehmen Sich auf eine unbekannte Zukunft einzustellen gelingt einem Unternehmen eher, wenn es in hohem Maße lernfähig ist. Dies bedeutet, dass seine Kultur, seine Organisation, seine Methoden und Menschen Lernprozesse entwickeln, die sich gegenseitig verstärken. Es braucht dazu im Unternehmen eine geistige Welt, die Lernen als Leitidee betont, eine Organisation, die Kommunikation ermöglicht, die zu Entscheidungen führt und Metareflexion, wenn Störungen auftreten; Methoden, die Lernen erleichtern, und Menschen, die sich zusammenfinden, die nicht nach fertigen Strukturen suchen, die keine strengen Regeln brauchen und auch ohne Algorithmen einen Sinn in ihrem Leben finden.
Der Gedanke an eine Welt, in der die Beziehung zwischen Menschen weniger durch Machtstreben, Geldverdienen oder Rechthaberei geprägt ist als vielmehr durch Lernen, miteinander und voneinander, könnte die Idee einer gelingenden Zukunft neu beleben.
Führung in einem lernenden und selbstorganisierenden System Die Unternehmen der Zukunft werden die Tendenz haben, sich als selbstorganisierende Systeme auszuprägen. Was bedeutet dies für den Einzelnen und für die Führung? Ignatius von Loyola hat den Jesuitenorden als selbstorganisierendes System konzipiert.
Welche Anforderungen richtet er an die Führungskräfte? Gute Gesundheit und Rücksicht auf seine physischen Kräfte, im Reden und Handeln von der Vernunft geleitet sein, gut reden können und einen starken Willen haben, über Ansehen verfügen und über innere Werte, solche sind: gewissenhaft und klug sein, offen und bescheiden und vor allem entschlossen.
Ein selbstorganisierendes System führen kann nicht mehr heißen, selber eingreifen, sich einmischen und bestimmen, sondern „machen, dass die Dinge sich machen“. Sich darauf einzulassen könnte dazu führen, dass die Idee einer gelingenden Zukunft zu einer neuen Leitidee werden könnte.
Der Autor ist Gründer seines eigenen Instituts „Geiselhart Seminare" und BILANZ-Kolumnist.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 22.01.18 auf Bilanz veröffentlicht.
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